Dr. Ralf Gruneberg hat als geladener Experte im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses im nordrhein-westfälischen Landtag am 13. Oktober 2011 neben Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und des VKU die Positionen der kommunalen Entsorgungswirtschaft dargelegt.
I. Bundesregierung stellt Weichen für eine Liberalisierung der Abfallwirtschaft
Mit der von der Bundesregierung vorgelegten Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes soll die EG-Abfallrahmenrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Im Mittelpunkt der Richtlinie stehen die Grundsätze der Abfallvermeidung und -verwertung von Abfällen, die durch Getrennthaltungspflichten und Recyclingquoten für die verschiedenen Abfallfraktionen konkretisiert werden. Die Abfallrahmenrichtlinie trifft keine Aussagen zur Frage der Verantwortlichkeiten in der Abfallwirtschaft.
Dennoch nutzt die Bundesregierung die Novelle, um eine ordnungspolitische Weichenstellung zu Gunsten der privaten Entsorgungswirtschaft vorzunehmen, die die kommunalen Entsorgungszuständigkeiten in ihrem Bestand aushöhlt und somit langfristig eine flächendeckende hochwertige Entsorgung der Bürgerinnen und Bürger zu sozialadäquaten Entgelten gefährdet.
Damit wird auch der von der nordrhein-westfälischen Landesregierung postulierten Abkehr von dem Dogma „Privat vor Staat“ wieder in sein Gegenteil verkehrt.
Dies widerspricht dem Regierungsauftrag zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und zur Erweiterung der kommunalen Handlungsfähigkeit, wie er konkret im „Gesetz zur Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts“ vom 21.10.2010 auf den Weg gebracht wurde.
Diese Weichenstellung erfordert weder die ordnungsgemäße Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie noch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Der nunmehr vorgelegte Entwurf der Bundesregierung zielt daher ohne Not auf eine europarechtlich nicht gebotene Liberalisierung der Abfallwirtschaft und vollzieht damit zugleich eine Abkehr von der grundgesetzlich garantierten Organisationshoheit der Kommunen in der Abfallwirtschaft.
Dabei verkennt die Bundesregierung die Stärkung und den Stellenwert der kommunalen Selbstverwaltung und die gestiegene Bedeutung der Abfallwirtschaft als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, die diese jüngst im europäischen Primärrecht erfahren hat.
Zudem negiert die Bundesregierung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf beständig die eindeutige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als höchstem deutschen Verwaltungsgericht vom 18. Juni 2009, das eindeutig den Grundsatz der kommunalen Entsorgungszuständigkeit für Abfälle aus privaten Haushalten auf Grundlage des geltenden Rechts bestätigt hat und die Ausnahmen von diesen Überlassungspflichten durch gewerbliche Sammlungen restriktiv auslegt. Diese Auslegung ist vereinbar mit europäischem Recht. Das hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 04.07.2011 nochmals bekräftigt.
Insbesondere die vorgesehene Ausweitung der Zulässigkeit einer gewerblichen Sammlung führt zu einer Aushöhlung der kommunalen Entsorgungsverantwortung und damit zu einer Liberalisierung der Wertstofferfassung aus kommunalen Haushalten durch die Hintertür.
Aus diesen Gründen sollte auch die Verantwortung für eine gemeinsame Wertstofferfassung in die kommunale Zuständigkeit überführt werden.
Im Einzelnen begründet sich dies wie folgt:
II. Europarecht erfordert keine Liberalisierung der Abfallwirtschaft
- Die Bundesregierung fällt mit dem vorgelegten Entwurf deutlich hinter den bisher auf europäischer Ebene erreichten Stellenwert und die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung sowie der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wie der Abfallwirtschaft zurück. Ihr Ziel ist es vielmehr, einseitig die Interessen der privaten Entsorgungswirtschaft zu fördern.
- Sie begründet die Öffnung der kommunalen Aufgabe der Hausmüllentsorgung als Daseinsvorsorgeleistung mit europarechtlichen Vorgaben, insbesondere mit dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit.
- Dabei verkennt sie, dass insbesondere das europäische Primärrecht und der EuGH, aber auch das Parlament und die Kommission, in jüngster Zeit die Kommunen und ihre Rechte auf kommunale Selbstverwaltung gestärkt und insbesondere die Möglichkeiten bei der Ausgestaltung von Dienstleistungen vom allgemeinem wirtschaftlichem Interesse deutlich ausgeweitet haben.
- Die Entsorgung von Abfällen aus privaten Haushalten ist insgesamt eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und damit eine Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge, deren Erfüllung in der Verantwortung der öffentlichen Hand liegen muss. Dies hat der EuGH bereits im Jahr 1998 klargestellt (EuGH, Urteil vom 10.11.1998 C-360/96 Arnhem/Rheden).
- Die Rechtsprechung des EuGH räumt den Mitgliedsstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung und Definition von derartigen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ein (so beispielsweise Koch/Reese, Hausmüllentsorgung als Aufgabe der Daseinsvorsorge, Gutachten im Auftrag des VKS im VKU, Mai 2010, Seite 27 ff.).
- Dieser weite Gestaltungsspielraum gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob die Geltung von Warenverkehrs- und Wettbewerbsfreiheit die Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gefährdet. Hier können die Mitgliedsstaaten eine Prognoseentscheidung treffen, die nur auf offensichtliche Fehler überprüft werden kann.
- Auch die jüngste Rechtsprechung des EuGH hat den Mitgliedsstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum im Sinne einer Vertretbarkeitskontrolle eingeräumt, was eine Ausnahme vom Wettbewerbsgrundsatz bei der Rechtfertigung von Dienstleistungsmonopolen nach Artikel 106 Abs. 2 AEUV betrifft (EuGH, Urteil vom 06.10.2009 – T-8/06).
- Maßstab für die Entscheidung ist Artikel 106 Abs. 2 AEVU, der eine Ausnahme von den Grundsätzen der Warenverkehrs- und Wettbewerbsfreiheit rechtfertigt, wenn die öffentliche Aufgabe unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs nicht mehr zu wirtschaftlich annehmbaren oder ausgewogenen Bedingungen erfüllt werden kann.
- Zu derartigen annehmbaren oder ausgewogenen wirtschaftlichen Bedingungen gehört auch die Möglichkeit der Quersubventionierung unrentabler Teilbereiche durch rentable Aufgabenbereiche innerhalb einer öffentlichen Aufgabe. Das bedeutet, dass die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf europäischer Ebene nicht dazu führen darf, dass sich private Unternehmen die rentablen Dienstleistungen heraussuchen und auf diesen Gebieten mit dem mit besonderen Aufgaben betrauten Unternehmen konkurrieren, wenn es dadurch diesen Unternehmen unmöglich gemacht wird, seine im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben unter wirtschaftlichen Bedingungen zu erfüllen (EuGH-Urteil vom 19.05.1993 – C-320/91-Corbeau). Daraus ergibt sich, dass der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger und seine kommunalen Unternehmen eine „Rosinenpickerei“ der privaten Entsorgungsunternehmen bereits nach europäischem Recht nicht hinzunehmen haben.
- Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen auch vermeintlich höherwertige konkurrierende Angebote privater Anbieter im Wettbewerb nicht erlaubt werden (EuGH-Urteil vom 27.04.1994 – C-393/92-Almelo): Die Angebote der gewerblichen Sammler liegen generell nicht im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse, da sie zeitlich und räumlich begrenzt sind und der Private zudem die übrigen Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger wie Entsorgungsplanung, Gewährleistung der Entsorgungssicherheit, Abfallberatung nicht übernimmt. Daher ist das Angebot des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers in jedem Fall als höherwertig zu betrachten.
- Die verschiedentlich angeführte EuGH-Entscheidung vom 22.12.2010 Rs. C-338/09 (Yellow Cab) ist hier nicht einschlägig, da es dort um Fragen des freien Dienstleistungsverkehrs im Verkehrsbereich ging, der durch Sondervorschriften im europäischen Primärrecht geregelt ist und insofern nicht mit der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie der hier in Rede stehenden Abfallwirtschaft, vergleichbar ist.
- Für den Stellenwert und den Spielraum der Mitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse spricht auch der Vertrag von Lissabon. Dieser Vertrag stärkt insgesamt die institutionelle Stellung der Kommunen in der EU und den Gestaltungsspielraum der Mitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. In Bezug auf die Erfüllung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erkennt das europäische Primärrecht ausdrücklich das hohe Niveau beim Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse an. Für die Nutzer müssen hohe Standards erfüllt werden in Bezug auf Qualität (z. B. Servicegrad), Sicherheit (z. B. Entsorgungssicherheit) und Bezahlbarkeit (beispielsweise keine Gebührenexplosionen). Welche Dienstleistungen angeboten werden, bestimmen die Mitgliedstaaten und ihre kommunalen Gebietskörperschaften, nicht aber die Gemeinschaftsorgane oder die nationalen Gerichte.
- Auch das Europäische Parlament hat die durch den Lissabonner Vertrag gestärkte Bedeutung der Kommunen und der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie anerkannt. Der sogenannte „Rühle-Bericht“, der am 18.05.2010 vom Europäischen Parlament angenommen wurde, stellt klar, dass mit dem in Krafttreten des Vertrages die Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften gestärkt wird. Insbesondere der weite Ermessensspielraum der lokalen Behörden, den diese bei der Ausgestaltung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, wie der Abfallwirtschaft, aufgrund des Lissabonner Vertrages und der Protokollerklärung haben, wird besonders hervorgehoben (vgl. Bericht über neue Entwicklung im öffentlichen Auftragswesen 2009/2175 INI, Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Berichterstatterin Heide Rühle vom 05.02.2010).
- Schließlich erkennt auch die Europäische Kommission den weiten Spielraum der Mitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, wie der Abfallwirtschaft, an. In einer Stellungnahme des europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ von 2010 weist dieser auf den Gestaltungsspielraum und das weite Ermessen der Mitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse hin (Abl. EU v. 18.05.2010 C-128/65). In diesem Zusammenhang betont der Ausschuss der Regionen den mitgliedsstaatlichen Subsidiaritätsgrundsatz, wonach die Kompetenzen der kommunalen Gebietskörperschaft nicht überschritten werden dürften. Insbesondere müssten die durch den Vertrag von Lissabon eingeführten Neuerungen bezüglich öffentlicher Dienstleistungen beachtet werden (Abl. EU vom 02.09.2011, C-259/40).
- Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 18.06.2009 klargestellt, dass die geltende Rechtslage in § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW./AbfG und die auf dieser Grundlage vorgenommene restriktive Auslegung der gewerblichen Sammlung in vollem Umfang mit europäischem Recht vereinbar ist.
- Im Übrigen haben andere EU-Mitgliedsstaaten, wie beispielsweise Österreich, die Abfallrahmenrichtlinie bereits umgesetzt. Mit den in Deutschland in Rede stehenden Regelungen zur gewerblichen Sammlung vergleichbare Vorschriften haben diese Länder nicht vorgesehen. Dies ist bisher von europäischen Institutionen nicht beanstandet worden.
III. Die Regelungen des Kabinettsentwurfs zur gewerblichen Sammlung höhlen die kommunale Entsorgungszuständigkeit aus
- Insbesondere die von der Bundesregierung vorgesehene Ausweitung der Möglichkeiten einer gewerblichen Sammlung höhlt die kommunale Entsorgungszuständigkeit aus.
- Das Bundesverwaltungsgericht hatte mit Urteil vom 18.06.2009 die bis zu diesem Zeitpunkt lange umstrittene Zulässigkeit gewerblicher Sammlungen dahingehend klargestellt, dass die öffentliche kommunale Abfallentsorgung durch parallele private Entsorgungsstrukturen nicht gefährdet oder ausgehöhlt werden darf. Deshalb schließt das Urteil solche Sammlungen vom Begriff der gewerblichen Sammlung aus, die nach Art eines Entsorgungsträgers in dauerhaften, festen Strukturen erfolgen.
- Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Auffassung in zwei weiteren Entscheidungen, zuletzt im Beschluss vom 04.07.2011, bestätigt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts stehen zudem überwiegende öffentliche Interessen einer gewerblichen Sammlung nicht erst bei einer Existenzgefährdung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungssystems entgegen, sondern bereits dann, wenn die Sammlungstätigkeit mehr als nur geringfügige Auswirkungen auf die Organisation und Planungssicherheit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nach sich zieht.
- Diese klare und eindeutige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die die grundsätzliche Entsorgungszuständigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger für Abfälle aus privaten Haushalten nochmals verdeutlicht hat, wird durch die vorgesehenen Neuregelungen zur gewerblichen Sammlung im Kabinettsentwurf ins Gegenteil verkehrt. Die Ermöglichung gewerblicher Sammlungen in flächendeckenden, festen Strukturen auf vertraglicher Grundlage lässt die grundsätzliche Überlassungspflicht für Abfälle aus privaten Haushalten an die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger praktisch leer laufen und ermöglicht privaten Entsorgungsunternehmen die Sammlung von Wertstoffen, ohne dass sie von öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern beauftragt werden müssen und obwohl bereits möglicherweise ein anderweitiges öffentliches oder privates Erfassungssystem besteht.
- Da private Entsorger keine Flächendeckung gewährleisten müssen und sich aussuchen können, welche Wertstoffe sie auf welchem Gebiet für welchen Zeitraum sammeln, verbleibt den Kommunen lediglich der wenig lukrative Restmüll und sie werden auf eine Reservegewährleistungsfunktion zurückgeführt.
- Die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger müssen nämlich aufgrund der gesetzlich zugewiesenen Entsorgungszuständigkeit langfristige Entsorgungssicherheit und Flächendeckung sicherstellen. Sie müssen ein System vorhalten für den Fall, dass der gewerbliche Sammler seine Tätigkeit – beispielsweise wegen Insolvenz oder Unrentabilität – einstellt.Gewinne werden somit privatisiert, während die nicht rentablen Felder der Abfallwirtschaft weiterhin von der Kommune übernommen und von den Bürgern durch Abfallgebühren finanziert werden müssen.
- Das von der Bundesregierung intendierte Anzeigeverfahren in § 18 des Entwurfs ist bürokratisch im Ergebnis nicht dazu geeignet, die oben dargestellte Aushöhlung der kommunalen Entsorgungszuständigkeit zu verhindern. So fehlen beispielsweise völlig Regelungen zum Umgang mit verschiedenen kleineren gewerblichen Sammlungen, die in der Summe nach dazu führen können, dass das gesamte Entsorgungsgebiet des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers komplett abgedeckt wird. Dies kann dazu führen, dass jede einzelne kleine gewerbliche Sammlung möglicherweise die Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgung nicht beeinträchtigen, dies in der Summe aller im Entsorgungsgebiet tätigen gewerblichen Sammlungen aber durchaus der Fall sein kann. Dies zeigt, dass die vorgesehene Regelung in §§ 17 Abs. 3, 18 KrWG nicht praktikabel und letztlich nicht vollzugsfähig ist.
IV. Auswirkungen auf die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und die kommunalen Unternehmen
- Die Aushöhlung der kommunalen Überlassungspflichten führt zu Gebührensteigerungen, geht auch zu Lasten des privaten Mittelstandes und gefährdet das Umsatzsteuerprivileg der kommunalen Abfallentsorgung.
- Die von der Bundesregierung vorgesehene Ausweitung der gewerblichen Sammlung wird im Ergebnis dazu führen, dass gewerbliche Sammlungen und der Aufbau paralleler Entsorgungsstrukturen durch Private mit rechtlichen Mitteln nicht mehr verhindert werden können. Dafür sprechen verschiedene obergerichtliche Entscheidungen, die im Nachgang zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergangen sind und in ihrer Interessenabwägung in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits den Regierungsentwurf berücksichtigt hatten (vgl. z. B. OVG Hamburg, Beschluss vom 18.02.2011, Az.: 5 BS 196/10; OVG Münster, Beschluss vom 30.05.2011, Az.: .20 B 1502/10; OVG Bautzen, Beschluss vom 10.06.2011, Az.: 4 B 355/10). Auch Gutachten im Auftrag der privaten Entsorgungswirtschaft kommen zu dem Schluss, dass es bisher kein einziges Beispiel dafür gebe, dass gewerbliche Sammlungen die Funktionsfähigkeit der kommunalen Abfallentsorgung tatsächlich gefährdet hätten. Genau dies ist aber das zentrale Kriterium für die Untersagung einer gewerblichen Sammlung nach § 17 Abs. 3 des Gesetzesentwurfs.
- Aus den oben dargelegten Auswirkungen aus der Analyse der bisher vorliegenden Rechtsprechung zur Untersagung von gewerblichen Sammlung ergibt sich zudem, dass mit einem erheblichen Anstieg der Abfallgebühren zu rechnen ist, der durch Gutachten mit Beträgen von deutlich über 10,00 € pro Haushalt und Jahr in Folge der privaten Abschöpfung der Wertstofferlöse beziffert wird. Denn die bisherige Rechtsprechung sieht regelmäßig die Beeinträchtigung der gesamten öffentlichen Abfallentsorgung als nicht gegeben an, weil die möglichen Beeinträchtigungen und Kostensteigerungen über die Abfallgebühr abgefedert werden können. Da die Funktionsfähigkeit aber auch nunmehr das maßgebliche Kriterium darstellen soll, ergibt sich, dass der Gesetzentwurf einen derartigen Gebührenanstieg zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger in Kauf nimmt.
- Die vorgesehene Ausweitung der gewerblichen Sammlung gefährdet auch den privaten Mittelstand. Ein Anteil von 60 % der Erfüllung von hoheitlichen Entsorgungsaufgaben wird von den Kommunen im Rahmen einer Ausschreibung an private Unternehmen vergeben. Wenn gewerbliche Sammlungen durch den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger nunmehr nicht mehr wirksam unterbunden werden können, hat dies negative Auswirkungen auf die mit den Kommunen geschlossenen Entsorgungsverträge. Denn die privaten Unternehmen müssen befürchten, dass ein Konkurrenzunternehmen ohne entsprechenden Auftrag Teile der Sammlung und Verwertung von Wertstoffen im Wege der gewerblichen Sammlung übernimmt und damit den wirtschaftlichen Erfolg und die Geschäftsgrundlage des Vertragsverhältnisses gefährdet.
- Zudem ist davon auszugehen, dass das bisher geltende Steuerprivileg der hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung in der kommunalen Abfallwirtschaft als Hoheitsbetrieb beim Aufbau paralleler gewerblicher Entsorgungsstrukturen durch private Dritte nicht mehr zu rechtfertigen ist. Wenn durch die weitgehende Zulassung gewerblicher Sammlungen die Überlassungspflichten für Abfälle aus privaten Haushalten faktisch ausgehöhlt werden, weil die Abfallerzeuger und -besitzer auch Verträge mit gewerblichen Sammlern schließen dürfen, wird keine Leistung mehr erbracht, die der öffentlichen Körperschaft eigentümlich und vorbehalten ist, sondern eine Dienstleistung im Wettbewerb. Dadurch entsteht ein Betrieb gewerblicher Art, der umsatzsteuerpflichtig ist. Auch dies widerspricht dem ausdrücklichen Regierungsauftrag, die Umsatzsteuerfreiheit kommunaler Betriebe zu erhalten. Letztlich hat dies zur Folge, dass sich die Abfallentsorgung zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger weiter verteuert. Darauf wird in der Gesetzesvorlage allerdings nicht hingewiesen.
V. Kompromissvorschlag der CDU/CSU Bundestagsfraktion vom 22.09.2011
- Der von der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Änderungsvorschlag zu den §§ 17, 18 KrW-/AbfG stellt zwar grundsätzlich einen Schritt in die richtige Richtung dar.
- Er sieht nämlich einerseits den von der kommunalen Seite seit langem geforderten Genehmigungsvorbehalt für die Aufnahme einer gewerblichen Sammlung vor.
- Abgesehen davon, dass die Regelung des Genehmigungsvorbehaltes noch zahlreicher Konkretisierungen bedarf (z.B. die Möglichkeit von Auflagen und Bedingungen), greift der Änderungsvorschlag letztlich zu kurz, da die Definition der gewerblichen Sammlung in § 3 Nr. 18 S. 2 unverändert bleibt und weiterhin gewerbliche Sammlungen in dauerhaften festen Strukturen zulässt.
- Im Ergebnis ergeben sich daher keine zwingenden Anhaltspunkte, von der vom Bundesverwaltungsgericht vorgezeichneten Linie einer grundsätzlichen Zuständigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger für alle Abfälle aus privaten Haushalten und einer restriktiven Auslegung der Ausnahmetatbestände einer gewerblichen Sammlung abzuweichen.
VI. Gemeinsame Wertstofferfassung in kommunaler Trägerschaft
- Die geplante gemeinsame Wertstofferfassung nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 des Entwurfs muss insgesamt ein System in Verantwortung der kommunalen Gebietskörperschaften als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger werden.
- Für eine kommunale Systemführerschaft spricht der weite Gestaltungsspielraum der Kommunen als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger bei der Organisation von Überlassungspflichten für getrennt bereit gestellte Abfälle aus privaten Haushalten als Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auf Grundlage des Vertrages von Lissabon und der europäischen Rechtsprechung. Auch die Abfallrahmenrichtlinie sowie die Verpackungsrichtlinie sprechen nicht gegen eine einheitliche Erfassung von Wertstoffen durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger. Diese Regelungen machen keine Angaben hinsichtlich der Ausgestaltung der Sammelsysteme oder der Trägerschaft.
- Auch die Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das die grundsätzliche Zuständigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger für alle Abfälle aus privaten Haushalten als Regel nochmals herausgestellt hat, deren Ausnahmen eng auszulegen sind, spricht für die kommunale Organisationsverantwortung einer gemeinsamen Wertstofferfassung.
- Schließlich lässt sich die Tatsache, dass die bei einer kommunalen Wertstofferfassung erwirtschafteten Gewinne dem Gebührenzahler zugute kommen und nicht zu Gunsten der Privatwirtschaft privatisiert werden, für ein kommunales System anführen.
- Das Planspiel der Bundesregierung hat nicht alle in Betracht kommenden Varianten der Einführung einer Wertstofftonne und insbesondere eine Wertstofferfassung unter kommunaler Verantwortung nicht berücksichtigt (Modell 4). Das Planspiel ist damit von Anfang an nicht ergebnisoffen geführt worden: Die von der Bundesregierung beauftragten Gutachter haben vielmehr bereits vor Beginn des Planspiels eine Vorabempfehlung zur Ausweitung der Produktverantwortung, auch auf stoffgleiche Nichtverpackungen und damit für ein privates System, abgegeben.