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Aktuelles-Beitrag vom

Gruneberg Rechtsanwälte, Köln

Weites Verständnis der Produktverantwortung Teil 2

Auch Verwaltungsgericht Düsseldorf tendiert zur umfassenden Freistellungsmöglichkeit.

Urteilsanmerkungen VG Düsseldorf, Urteil vom 07.05.2015, 17 K 8650/13

VG Düsseldorf, Urteil vom 07.05.2015, 17 K 8650/13

Nachdem das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 10.02.2015 (Az.: W 4 K 13.1015) unter Zugrundelegung einer weiten Begriffsdefinition der „Produktverantwortung“ die Feststellung getroffen hat, dass die freiwillige Rücknahme von Alttextilien unabhängig davon ist, ob die Textilabfälle von dem jeweiligen Unternehmen selbst hergestellt oder vertrieben werden und demnach den Ausnahmetatbestand von der allgemeinen Überlassungspflicht nach § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 KrWG umfassend anerkannt hat, erhält diese höchst umstrittene und kontrovers diskutierte Rechtsauffassung nunmehr „Bestätigung“ durch das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Urteil vom 07.05.2015, Az. 17 K 8650/13).

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2015/17_K_8650_13
_Urteil_20150507.html

Die zuständige örtliche Abfallbehörde untersagte einem klagenden Modehaus zunächst auf Grundlage von § 62 i. V. m. § 18 Abs. 1 KrWG die Sammlung von Bekleidung aus privaten Haushaltungen im gesamten Stadtgebiet, da diese eine nicht angezeigte gewerbliche Sammlung von Alttextilien durchführe.

Das Verwaltungsgericht verneinte jedoch die Rechtmäßigkeit dieser Untersagung. Insbesondere seien, selbst wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 KrWG (zusätzlich) erfüllt seien, die Regelungen über die Anzeigepflicht nach § 18 Abs. 1, 2. Alt. KrWG nicht einschlägig, weil das Regelungsregime des § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, § 18 Abs. 1 und 2 KrWG durch die vorrangige lex specialis des § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 KrWG gesperrt sei.

Ohne nähere materiell-rechtliche Überprüfung des Freistellungsbescheides wurde durch das Verwaltungsgericht letztlich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 KrWG angenommen. Die Regelungen des Freistellungsbescheides enthielten nach Auffassung der Verwaltungsrichter im Wege einer gesetzlich angeordneten Fiktion eine bundesweite Wirkung und überlagerten dadurch als privilegierte Ausnahmen sowohl die Anzeige- als auch die Überlassungspflicht.

„Interessant“ sind darüber hinaus die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach das Entfallen der Überlassungspflicht gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 KrWG nicht davon abhänge, ob der erteilte Freistellungsbescheid rechtmäßig sei, noch davon, ob dieser bestandskräftig geworden ist. Entscheidend sei vielmehr allein die Existenz eines wirksamen Feststellungsbescheides, so dass für das vorliegende Verfahren der Frage der Rechtmäßigkeit keine Entscheidungserheblichkeit beizumessen war. Obgleich eine Inzidentüberprüfung der Freistellungsentscheidung wohl möglich gewesen wäre, verwies das Gericht die beklagte Abfallwirtschaftsbehörde auf die gegen diesen Bescheid eröffneten und im Übrigen auch bereits ergriffenen Rechtsbehelfe.

Bedeutung für die kommunale Praxis

Auf die grundsätzliche Bedeutung dieser erstinstanzlichen Rechtsprechungstendenz für die gesetzlich verordnete kommunale Entsorgungszuständigkeit sowie hoheitliche Verantwortungsträgerschaft gemäß § 17 Abs. 1 KrWG wurde in einer Mitteilung von Gruneberg Rechtsanwälte vom 24.04.2015 bereits hingewiesen.

Vgl. EUWID 2015, S. 13; außerdem www.gruneberg-rechtsanaelte.de/aktuelle-meldung…umfassenden-freistellungsbescheid-30.html

Insoweit bleibt zu hoffen, dass die hierdurch ermöglichte unbegrenzte Freistellung ganzer Abfallfraktionen unabhängig von der Hersteller- bzw. Vertreibereigenschaft im Einzelfall bei gleichzeitigem Entzug jeglicher Beteiligungs- und Informationsmöglichkeiten des von dieser Entscheidung überwiegend betroffenen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers (§ 18 Abs. 4 KrWG findet nach Auffassung des Gerichts keine Anwendung) durch die Oberverwaltungsgerichte eine interessengerechte Korrektur erfährt.

Der Überlassungspflicht für Hausmüllabfälle gemäß § 17 Abs. 1 KrWG kommt nämlich nach überzeugender Auffassung ein individueller Schutznormcharakter zu Gunsten öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger zu, da diese nicht nur dem Allgemeininteresse, sondern gerade auch dem subjektiven öffentlich-rechtlichen Schutz des örE dient,

vgl. dazu mit Blick auf gewerbliche Sammlungen VG Stuttgart, Beschluss vom 02.02.2015 – 2 K 2096/14; vom 30.04.2013 – 2 K 595/13; Karpenstein/Dingemann, in: Jarass/Petersen, KrWG, § 18 Rn. 111 ff. m.w.N.

Es kann mithin entgegen der Auffassung des VG Düsseldorf nicht zuletzt aufgrund dieser gesetzlichen Grundannahmen keinen Unterschied machen, auf welcher Grundlage eine Ausnahme von der Überlassungspflicht im Einzelfall hergeleitet werden soll. Öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern muss vielmehr stets die Möglichkeit eingeräumt werden, für ihren Zuständigkeits- und räumlichen Tätigkeitsbereich eine etwaige Funktions- oder Organisationsbeeinträchtigung darlegen zu können.

Gruneberg Rechtsanwälte vertritt bundesweit öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger und ihre kommunalen Erfüllungsgehilfen vor den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten sowie Zivilgerichten.