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Aktuelles-Beitrag vom

Gruneberg Rechtsanwälte, Köln

Interkommunale Softwarekooperation aus vergaberechtlicher Perspektive

Gruneberg Rechtsanwälte begrüßt die Entscheidung des EuGHs, die Anforderung an die ausschreibungsfreie öffentliche Zusammenarbeit zu konkretisieren. EuGH stärkt kommunaler Zusammenarbeit den Rücken.

(Köln, 9.6.2020) Die auf das kommunale Wirtschaftsrecht spezialisierte Kanzlei Gruneberg Rechtsanwälte begrüßt die aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die die Anforderungen an eine ausschreibungsfreie vertragliche Zusammenarbeit öffentlicher Auftraggeber auf Grundlage von Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 108 Abs. 6 GWB) konkretisiert und dabei wichtige Auslegungshilfen herausarbeitet, die über den Einzelfall hinaus die Handlungsspielräume öffentlicher Auftraggeber im Rahmen der gemeinsamen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben erweitern dürften (EuGH, Urteil vom 28.5.2020, Rs.C-796/18).

„Das Urteil des EuGHs hat große praktische Bedeutung für die kommunale Aufgabenwahrnehmung selbst sowie die Erbringung von funktionsnotwendigen, akzessorischen Nebenleistungen. Denn nach wie vor stellen Kooperationen zur gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung, beispielsweise in der Abfall- oder Klärschlammentsorgung, klassische und erprobte Instrumente der Zusammenarbeit auf einer verlässlichen, öffentlich-rechtlichen Grundlage dar“, so Dr. Ralf Gruneberg und Lorenz Frank.

Hintergrund des EuGH-Verfahrens ist ein Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf vom 28.11.2018 (Az.: Verg 25/18), in dem dieses verschiedene praxisrelevante Fragen zur Ausgestaltung vertraglicher Formen einer öffentlichen Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften im Bereich der Bereitstellung, Entwicklung, Anpassung und Pflege von Softwareanwendungen auf die Vereinbarkeit mit dem EU-Vergaberecht klären lassen will.

Anlass des Verfahrens ist eine vertragliche Kooperation zwischen der Stadt Köln und dem Land Berlin aus dem Jahr 2017 über die entgeltfreie und dauerhafte Nutzung einer Einsatzstellensoftware für die örtliche Feuerwehr. Auf Grundlage eines Kooperationsvertrages sollte sichergestellt werden, dass es sich bei der Zusammenarbeit um eine gleichberechtigte Partnerschaft handele, bei der beide Partner dazu berechtigt sind, die Software den jeweiligen Bedürfnissen anzupassen und die Weiterentwicklung dem jeweils anderen Partner zur kostenneutralen Nutzung zu überlassen.

Ein privater Softwareentwickler hatte daraufhin diesen Vorgang beanstandet und bei der Vergabekammer Rheinland beantragt, die Verträge für unwirksam zu erklären, da diese nicht nach den Regeln der öffentlichen Auftragsvergabe abgeschlossen wurden. Die Vergabekammer Rheinland wiederum wies den Antrag zurück, da die Kooperation bereits nicht als öffentlicher Auftrag zu qualifizieren sei.

Der hierauf angerufene Beschwerdesenat des OLG Düsseldorf hegte Zweifel an der Rechtsauffassung der Vergabekammer, sah sich im Übrigen jedoch daran gehindert, eine abschließende Bewertung der Ausschreibungsfreiheit der Softwarekooperation auf Grundlage des Vergaberechts, insbesondere von § 108 Abs. 6 GWB zu treffen und wandte sich an den EuGH.

Weiter Begriff des öffentlichen Auftrages/Vertrages

Dieser stellt zunächst klar, dass eine wie dem vorliegenden Fall zu Grunde liegende Kooperationsvereinbarung trotz Regelung einer kostenneutralen zur Verfügungstellung von Softwareentwicklungen durchaus als entgeltliche Leistungsbeziehung qualifiziert werden könne, da die (wahrscheinlichen) Anpassungen der Software durch einen Partner im finanziellen Interesse des anderen Partners stünden (weiter Begriff der Entgeltlichkeit).

Gegenstand einer Zusammenarbeit

Klarstellend hebt der EuGH auch hervor, dass sich Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU lediglich auf die Gemeinsamkeit der Ziele einer Zusammenarbeit beziehe, ohne dabei die gemeinsame Erbringung ein und derselben öffentlichen Dienstleistung selbst zu verlangen.

Daher, so der EuGH, sei auch nicht zwingend erforderlich, dass die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen von den an der Zusammenarbeit beteiligten öffentlichen Auftraggebern gemeinsam gewährleistet wird. „Die Bestimmung ermächtigt so öffentliche Auftraggeber glei-chermaßen, sowohl gemeinsam als auch jeweils allein, eine öffentliche Aufgabe wahrzunehmen, sofern es die Zusammenarbeit ermöglicht, ihre gemeinsamen Ziele zu erreichen“, so Gruneberg und Frank.

Nach Ansicht des EuGH erfasse die Zusammenarbeit letztlich alle Arten von Tätigkeiten in Verbindung mit der Ausführung der Dienstleistungen und Zuständigkeiten, die den Beteiligten zugeteilt, anvertraut oder von ihnen übernommen werden, sofern diese Tätigkeiten zur wirksamen Erfüllung der öffentlichen Aufgabe beitragen. Unterstützende Tätigkeiten, die unmittelbar und untrennbar mit der öffentlichen Dienstleistung verbunden seien, also solche, deren Instrumentalcharakter derart nachhaltig ist, dass die eigentliche Dienstleistung ohne sie nicht als eine solche öffentliche Dienstleistung erbracht werden könne, fallen somit unter Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 108 Abs. 6 GWB).

Allgemeines Besserstellungsverbot

Abschließend positioniert sich der EuGH zur Frage, ob im Rahmen von Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU ein ungeschriebenes sogenanntes Besserstellungsverbot privater Wirtschaftsteilnehmer zu berücksichtigen sei.

Zunächst seien auch im Rahmen der horizontalen Zusammenarbeit die allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätze zu beachten, wonach Vergabeverfahren nicht mit der Absicht konzipiert werden dürften, es vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gelte als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen (Art. 18 Abs. 1 unter Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU).

Auch die Erwägungsgründe 31 und 33 der Richtlinie 2014/24/EU bestätigten, dass die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit keine Wettbewerbsverzerrung zur Folge haben dürfe, in dem ein privater Dienstleister bessergestellt werde als seine Wettbewerber.

Erfordere demnach eine horizontale Zusammenarbeit öffentlicher Auftraggeber die Teilnahme anderer Wirtschaftsteilnehmer als diese Parteien, müsse zur Vervollständigung oder Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen eine Ausschreibung durchgeführt werden. Sofern die Gewährleistung eines effektiven Bieterwettbewerbs dies erfordere, müsse der Auftraggeber den potenziellen Bietern hinreichende Informationen (ggf. Quellcodes) zur Verfügung stellen. In diesem Fall gäbe es jedoch keine Gründe für die Annahme, dass ein Privater unausweichlich rechtlich oder tatsächlich in eine bessere Lage versetzt werde als seine Wettbewerber, weil er einen Beitrag zu den Aufgaben leiste, aus denen diese Zusammenarbeit bestehe.

Bewertung aus kommunalwirtschaftlicher Sicht

Nach der positiven Entscheidung des EuGH in Sachen Remondis (Rs.C-51/15) und der hierbei bestätigten Möglichkeit einer ausschreibungsfreien Aufgabendelegation sei die vorliegende Entscheidung zu den Voraussetzungen einer horizontalen Kooperation, die die Flexibilität und Diversität der örtlichen Belange und Bedürfnisse berücksichtigt, für die kommunale Wirtschaft von nicht unerheblicher Bedeutung, so Gruneberg und Frank. „Erfreulich ist das weite Verständnis der einer horizontalen Zusammenarbeit zu Grunde liegenden Art der Tätigkeiten. Gerade vor dem Hintergrund der Herausforderungen und Potenziale der digitalen Transformation, etwa im Bereich der Abfallwirtschaft (Abfalllogistik, Tourenplanung), sowie vor dem Hintergrund knapper Kassen, ist die der Rechtssicherheit dienenden Klarstellung durch den Gerichtshof eindeutig zu begrüßen.“

Die vorliegende Entscheidung stehe auch im Zusammenhang mit einer weiteren aktuellen Entscheidung des EuGHs in einem Vorlageverfahren des OLG Koblenz. Hier hatte sich der EUGH unter anderem mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sich der Beitrag eines Beteiligten einer Kooperation auch lediglich auf eine Kostenerstattung reduzieren könne (EuGH, Urteil vom 4.06.2020, Rs. C-429/19; OLG Koblenz, Vorlagebeschluss vom 14.5.2019 – Verg 1/19). Dies lehnte der EuGH klar ab. Nach Auffassung des Gerichtshofes ergebe sich aus der Vorlageentscheidung, dass die zwischen dem dortigen Zweckverband und dem Kreis geschlossene Vereinbarung keine Form der Zusammenarbeit zwischen ihnen erkennen lasse. Die in Rede stehende Vereinbarung sei vielmehr ausschließlich auf den Erwerb einer Leistung gegen Zahlung eines Entgelts ausgerichtet, was gegen die Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 108 Abs. 6 GWB) spreche.

Gruneberg: „Einseitige vertragliche Kooperationsmaßnahmen, bei denen lediglich ein kommunaler Partner zur Leistung bereit oder in der Lage ist, dürften somit zukünftig nur entlang der Kriterien der Entscheidung in der Rechtssache ‚Remondis’ zulässig sein, sofern diese als innerstaatlicher Organisationsakt ausgestaltet werden können. Demgegenüber steht öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vereinbarung von wechselseitigen vertraglichen Lösungen, bei denen beide/mehrere kommunale Partner zur Leistung bereit und in der Lage sind, nach Maßgabe von § 108 Abs. 6 GWB eine mit der vorliegenden Entscheidung anerkannte größere Flexibilität zu, die eine gemeinsame Aufgabenerledigung erleichtern wird.“